Beobachtung - Übersicht

Beobachtungsmodelle
Typische Beobachtungsfehler
Das Kind in seinem Umfeld

Einflüsse auf die Wahrnehmung einer Situation

Beobachtungsprotokolle spiegeln oft mehr den Beobachter und seinen Standpunkt als die beobachtete Situation.

Prüffrage bei Beobachtungen:
Welche Einflüsse haben meine Wahrnehmung bestimmt? Prüfen Sie, fragen Sie nach und korrigieren Sie eventuell ihre Aufzeichnungen!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Typische Beobachtungsfehler:

Zu frühe Wertung: Vorurteile steuern die Bewertung einer Situation. Dadurch erscheint es überflüssig, den Fortgang abzuwarten, man weiß ja, was dabei herauskommen wird. Diese Vorgehensweise ist eine ganz normale Reaktion darauf, dass wir komplexe Situationen nicht als Ganzes, sondern nur in Ausschnitten wahrnehmen. Z.B.: Eine Referendarin kommt in die Klasse und nimmt wahr, dass die Kinder zu lachen anfangen. Sie bezieht das auf sich und fühlt sich ausgelacht. Tatsächlich lachen die Kinder über etwas völlig anderes. Vorbeugen lässt sich einer zu frühen Wertung durch Nachfragen und sich der eigenen Interpretation vergewissern.  

Konzentration auf wenige Kinder: Häufig ziehen Kinder durch besondere Aktivitäten die Aufmerksamkeit der Lehrerin oder des Lehrers auf sich. Das ist einer der Gründe, warum Jungen mehr Aufmerksamkeit entgegengebracht wird als Mädchen. Sie verhalten sich auffälliger. Es kann passieren, dass eine Lehrkraft eine Klasse deshalb als besonders undiszipliniert empfindet, weil sie ihr Hauptaugenmerk auf die fünf schwierigen Schüler richtet und die diszipliniert arbeitenden zwanzig anderen Kinder übersieht. Vorbeugen lässt sich der Konzentration auf wenige Kinder durch Beobachtung der eigenen Beobachtung aber auch durch Standardisierung der Beobachtung, z.B. durch Checklisten oder durch die Einführung bestimmter Beobachtungsrhythmen.  

Selbstverständliches wird übersehen: Im Zusammenhang mit Ritualen wird beispielsweise häufig nur die formale Ausführung registriert, nicht aber die Bedeutung für das Kind. Die Lehrerin bemerkt zum Beispiel, dass die Schülerinnen und Schüler die Hausaufgaben richtig in ihrem Hausaufgabenheft notiert haben, aber ihr entgeht, dass einige die Bedeutung der Aufgabe nicht kennen. Oder es fällt der Lehrerin nicht auf, dass immer das gleiche Kind die Bauecke nach einer Spielphase aufräumt, während die anderen zuschauen. Teil der Nachbereitung von Unterricht sollte die Planung von Aufmerksamkeitsfokussierung auf immer wieder andere Aspekte des Unterrichts sein. Nur durch bewusstes Beobachten werden versteckte Rituale sichtbar.  

Der Halo-, Hof- oder Ausstrahlungseffekt: Einige herausragende Merkmale einer Person bestimmen den Gesamteindruck und überdecken andere Merkmale. So erscheinen gepflegte Kinder zugleich intelligenter als ungepflegte. Wer forscher auftritt, dem wird zugleich unterstellt, er sei mutiger als andere. Es ist notwendig, sich dieses Phänomen immer wieder bewusst zu machen, um zu merken, wenn es sich einschleicht.

Projektionen und Gegenprojektionen:
Unbewältigte eigene Probleme werden auf das Kind übertragen. Häufig bemerkt die Lehrkraft diese Übertragung nicht und schätzt das Verhalten des Kindes falsch ein bzw. respektiert dessen eigene Bedürfnisse nicht. Das Kind wird so gesehen, wie man selbst gerne wäre. Umgekehrt werden Lehrkräfte von Kindern in Szenen verwickelt, in denen ihnen die Rollen von Mutter oder Vater zugedacht werden. Fühlt sich der Lehrer oder die Lehrerin dadurch ungebührlich behandelt, wird zugleich der Blick für die Übertragung versperrt, die dem Kind passiert. Insbesondere, wenn ein Kind seine bisherigen negativen Erfahrungen auf die Lehrperson überträgt, ist viel Geduld erforderlich, damit das Kind seine bisherigen Erfahrungen durch positive neue Erfahrungen ersetzen kann.  

Stereotypen:
Stereotypen sind individuelle bis hoch konsensuelle Vorurteile. Z.B.: „Mädchen mögen keine Technikbaukästen“ oder „Italiener sind impulsiv“. Im Beobachtungsvorgang schlagen sie sich als Vorerfahrungen nieder und werden zu Selektionskriterien der Wahrnehmung. Stereotypen sind zumeist gesellschaftlich vermittelt. Gängige Stereotypen lassen sich z.B. in den Medien finden oder in alltäglichen Gesprächen. Nur wer ein Stereotyp als solches erkennt, kann sich davor schützen, es zu verwenden.  

Konfabulationen:
Ungenaue Beobachtungen oder ungenaue Erinnerungen an Beobachtetes legen es nahe, die Lücken plausibel zu füllen, etwas dazu zu fabulieren. Leider spiegelt sich in diesen „Lückenfüllern“ vor allem die Vorerfahrung des Beobachters oder der Beobachterin aber nur in Glücksfällen das, was tatsächlich passiert ist. Es ist daher wichtig, die Stellen zu benennen, wo keine genaue Beobachtung vorliegt oder wo eine Beobachtung nur ungenau erinnert werden kann. „Lückenfüller“ können dann als solche gekennzeichnet und ihr Inhalt zugleich begründet werden.  

Der Mildeeffekt, Beschönigungen:
Insbesondere negative Beobachtungen werden häufig beschönigt, um dem Beobachteten nicht zu schaden oder um sich selbst nicht den notwendigen Konsequenzen stellen zu müssen. Man muß wissen, wenn man dazu neigt und gegebenenfalls eine Beobachtung mit anderen diskutieren, um den Mildeeffekt im eigenen Urteil auszuschließen. Es kann helfen, wenn man den Text des Beobachtungsprotokolls darauf hin untersucht, ob er abschwächende Wörter enthält. Anlaß für Verharmlosungen sind oftmals auch Peinlichkeiten oder Tabus.  

Vernachlässigung des Kontextes, Verknappung:
Auch das Handeln der Kinder steht in einem aktuellen und in einem biographischen Kontext. Eine Beobachtung ohne Versuch, die Beweggründe für bestimmte Handlungen zu klären, ist relativ wertlos. Ebenso wertlos ist eine Diagnose, die zu knapp ausfällt und mangels Kontextmitteilungen und Begründungen wie das Ergebnis zustande kam, nicht nachvollziehbar ist. Eine durchaus wünschenswerte Konzentration auf das Wesentliche bedeutet immer, dass damit das für den Beobachter zum Zeitpunkt des Protokolls Wesentliche gemeint ist. Auf das Wesentliche zusammengefasste Protokolle müssen daher eine Aussage darüber beinhalten, warum der Protokollant gerade das Beschriebene für wesentlich hält.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Das Kind in seinem Umfeld

[Bronfenbrenner (1981, 162) vertritt die These, daß optimale Bedingungen für Lernen und Entwicklung dann gegeben sind, wenn das Kind an fortschreitend komplexeren Mustern wechselseitiger Tätigkeit und Interaktion mit anderen Menschen beteiligt wird. BRONFENBRENNER, Urie (1981): Die Ökologie der menschlichen Entwicklung. Stuttgart: Klett-Cotta, S. 44. und S. 162 (USA 1979)]

Die kindliche Umwelt ist demnach zugleich Bedingung der kindlichen Entwicklung, Aneignungsziel und als Quelle der tätigen Auseinandersetzung Entwicklungsmotor. Dieser Prozeß schließt die Auseinandersetzung mit Tätigkeiten anderer Personen ein.

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sachanalyse

Was ist in meinen (unseren) Augen wert, gelehrt und gelernt zu werden? Und wie ordnen wir das, was gelernt werden soll? Wie sollen diese Inhalte gelernt werden?
Martin Wagenschein:
Unterricht soll exemplarisch sein: Was war in der Geschichte so bedeutend und so wesentlich, dass es aus der Vielfalt der Ereignisse herausgenommen werden in anderen Epochen wieder gefunden und angewendet werden konnte? Wie sieht es heute aus? Wir können Zusammenhänge erkennen, Vernetzungen herstellen.
Das „Exemplum“ wird aus einer Menge „herausgenommen“. Es steht für etwas, z. B. ist es etwas „um zu...“ Ein Bleistift ist ein Etwas, um zu schreiben. Er steht für Schreibwerkzeuge. Ein Maurer steht für Handwerker.
„Es ergreift einen, und deshalb ergreift man es. Man kniet nieder und hebt es auf. Man hat
es selbst gesucht und gefunden. Deshalb vergisst man es nicht mehr.“ (Roth, Heinrich, Exemplarisches Lehren, S.14.)
„Je tiefer man sich eindringlich und inständig in die Klärung eines geeigneten Einzelproblems
eines Faches versenkt, desto mehr gewinnt man von selbst das Ganze des Faches.“
(Wagenschein, Martin, in: Roth, Heinrich, Exemplarisches Lehren, S. 16.)

Demgegenüber:
„Ein ... systematischer Lehrgang verführt zur Vollständigkeit, (denn er will bereitstellen)
damit zur Hast und also zur Ungründlichkeit. So baut er einen imposanten Schotterhaufen.
Gerade, indem er sich an die Systematik klammert, begräbt er sie und verstopft den
Durchblick.“ (Wagenschein, Martin, Verstehen lehren, S. 9.) Grafik

Wagenschein, Martin (1965). Zur Klärung des Unterrichtsprinzips des exemplarischen Lehrens (S. 13-26). In Roth, Heinrich& Blumenthal, Alfred (Hrsg.): Grundlegende Aufsätze aus der Zeitschrift Die Deutsche Schule. Hannover: Schroedel

Link zu weiterführenden Informationen von Thomas Seilnacht

Link zur Schweizerischen Wagenschein-Gesellschaft

Link zu einem Überblick über verschiedene Bildungstheoretische Modelle





 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Entwicklungsmodelle

Alter Dominierende Tätigkeit nach JANTZEN[1] Schriftsprachliche Tätigkeit nach GÜNTHER [2] Denkentwicklung nach PIAGET [3]
bis ca. 1 Jahr

Manipuliernde Tätigkeit, Entstehgung individueller Gegenstandsbedeutung, Gleiches und Unterschiedliches werden als solches erkannt

Phase gegenständlicher Manipulation
z.B. Kind blättert in Bilderbüchern, ohne die Bilder zu betrachten
Sekundäre Zirkulärreaktion und ihre Koordinaten
bis ca. 3 Jahre Gegenständliche Tätigkeit, Entstehung individueller Werkzeugbedeutungen und individueller Tätigkeitsbedeutungen. Gegenstände werden funktionsgerecht benutzt Prä-literale Phase
- Umgang mit Abbildungen von Gegenständen (Bilderbüchern)
- Produktion von Abbildungen mit Bedeutungszuweisung
- Das Kind tut so, als ob es schreibt
Logographemische Phase
-
Identifizierung u. Erinnerung von Wörtern anhand charakteristischer Merkmale,
- Aufschreiben der Wörter ohne Vorsprechen und Abhören
Tertiäre Zirkulärreaktionen: Lernen durch Einsicht Egozentr.-präoperat Denken: 2-4 Jahre vorbegrifflich 4-6/ Jahre; anschaulich
ca. 3-6 Jahre Spieltätigkeit, Individuelle Ich-Bedeutung/soziale Gegenstandsbedeutung. Unterscheiden zwischen Rolle und Rollenspiel
ca. 7-13/14 Jahre

Lerntätigkeit, Soziale Werkzeugbedeutung. Wissen über Wissen und seine Erweiterungmöglichkeiten

Soziale Tätigkeitsbedeutungen. Bewusste Handlungsplanung

Alphabetische Phase:
- Erfassung der GPK-Regeln,
- lautierendes Schreiben - schwer lesbar,
- Uneindeutigkeiten u. Auslassungen
konkret-operationales Denken (ca. 7-10 Jahre)
  Orthographische Phase:
Bewusstwerden orthographischer Regeln beim Lesen und Anwendung beim Schreiben
Integrativ-automatisierte Phase:
Operieren mit Schrift ist automatisiert.
Formal-logisches Denken (ab ca. 11 Jahre)
14 Jahre Arbeitstätigkeit: Soziale Ich-Bedeutung  

Entwicklungsprozess als ein Ausbalancieren zwischen zwei Polen, nämlich zwischen psychischen Strukturen, die Unabhängigkeit und solchen die Zugehörigkeit begünstigen: Menschliche Entwicklung ganz allgemein geschieht nach Kegan in einem fortwährenden Prozess der Differenzierung des Selbst von seiner (angestammten) Umwelt und einer darauf folgenden Integration in die „neue“ Welt. Das Selbst wird also durch Veränderungen der Subjekt-Objekt-Beziehung rekonfiguriert, um anschließend eine völlig neue Einheit zu bilden.

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1) Jantzen, Wolfgang (1987): Allgemeine Behindertenpädagogik, Bd. 1, Sozialwissenschaftliche und psychologische Grundlagen. Weinheim: Beltz, S. 198ff (in Anlehnung an Leontjew, Kulturhistorische Schule)
2) Sassenroth, Martin (1991): Schriftspracherwerb: Entwicklungsverlauf, Diagnostik und Förderung. Bern: Haupt
3) Piaget, Jean.; Inhelder, Bärbel (1977): Die Psychologie des Kindes. - Frankfurt/M.: Fischer-Taschenbuch-Verlag


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Zone der nächsten Entwicklung

Was kann das Kind schon alleine? (Zone der aktuellen Entwicklung)
Was kann das Kind mit Hilfe? (Zone der nächsten Entwicklung)

In Kooperation mit Erwachsenen und Mitschülern werden die neuen Möglichkeiten erschlossen und "damit schließlich zu einer neuen aktuellen Zone der Entwicklung des Kindes, was wiederum eine neue nächste Zone der Entwicklung eröffnet. Die Zone der nächsten Entwicklung bezeichnet somit den Unterschied zwischen dem, was das Kind selbständig zu tun vermag, und dem, wozu es mit Hilfe eines Lehrers imstande ist." Erzmann, Tobias (2004): Zum Verhältnis von Entwicklungs- und Erziehungsprozessen. Die Aktualität der Kinder- und Entwicklungspsychologie von Lew S. Wygotsky für Kindergarten und Grundschule heute. In: Carle, Ursula/ Unckel, Anne (Hrsg.): Entwicklungszeiten. Forschungsperspektiven für die Grundschule. Jahrbuch Grundschulforschung Bd. 8, Wiesbaden: VS-Verlag für Sozialwissenschaften, S. 60-66

   

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Beispiel Entwicklung von Weltvorstellungen

Menschliche Entwicklung ganz allgemein geschieht in einem fortwährenden Prozess der Differenzierung des Selbst von seiner (angestammten) Umwelt und einer darauf folgenden Integration in die "neue" Welt Das Selbst wird also durch Veränderungen der Subjekt-Objekt-Beziehung rekonfiguriert, um anschließend eine völlig neue Einheit zu bilden.
Eine solche neue Subjekt-Objekt-Beziehung bleibt so lange bestehen, bis sie nicht mehr haltbar erscheint. „Wenn wir beispielsweise die Phase des ‚konkreten Denkens’ erreichen, normalerweise im Alter von 6-10 Jahren, sind wir in der Lage, Fakten zu erlernen, immer mehr Fakten, aber eben nur Fakten. Kinder dieser Altersstufe sammeln Baseball-Karten, Käfer und Blätter von Bäumen. Sie erwerben sich ihr Verständnis der sie umgebenden Welt, indem sie deren Objekte erkennen und benennen. Aber es bedarf eines qualitativen Sprungs, einer Transformation dieser Subjekt-Objekt-Beziehung, um jene Fakten in umfassendere abstrakte Ideen, Kategorien und Wertsysteme einordnen zu können... Jeder qualitative Sprung verlagert eine mentale Struktur, die bisher als Subjekt erfahren wurde, so vollständig, dass sie von nun an als Objekt betrachtet wird.“ (ebenda).
Dem qualitativen Sprung, wie er Bildungsübergänge kennzeichnet, gehen Pendelbewegungen zwischen der aktuellen und der neuen, differenzierteren Struktur voraus. Das Individuum verschafft sich dadurch zunehmend Übersicht über die Struktur seiner aktuellen Tätigkeit und erkennt dadurch zunehmend die Struktur der neuen Subjekt-Objekt-Beziehung. "Das gibt uns die Möglichkeit, zu einem neuen Gleichgewicht oder einer Art neuer Erkenntnistheorie voranzuschreiten“ (Kegan 2003, S.3) – eine neue Qualität des Selbst zu gewinnen.
Kinder konstruieren ihre Welt miteinander, setzen sich über ihre unterscheidlichen Sichtweisen auseinander, auch mit denen der Erwachsenen. Konstruktion ist insofern immer Ko-Konstruktion

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Systematisch oder offen und diskursiv?

Der systematische Lehrgang berührt das Thema zwar sehr geradlinig aber doch nur flüchtig, während der exemplarische
Lehrgang auffordert, sich in eine Sache zu vertiefen.
Die Zeichnungen sind entnommen aus: Harald Eichelberger: Die Bedeutung des Exemplarischen Unterrichts